Dramolett
Impfen und kein Ende... oder?
Wenn man sich jetzt nicht gerade auf die Seite der Impfgegner und Coronaleugner geschlagen hat und wenn man nicht gerade ein biblisches Alter erreicht hat oder einem besonders gefährdeten Beruf nachgeht, wird man sich noch ein wenig nach der Decke strecken müssen. Denn da sind wir uns einig, der Ausweg aus der Pandemie wird nur über die Impfung zu beschreiten sein.
Schon allein der Gedanke an die Impfung treibt mir Tränen in die Augen. Und da denke ich schon lange nicht mehr an die vergangenen Versäumnisse der von der Leyen und wie stümperhaft und holprig die ganze Aktion angelaufen ist. Die aktuelle Situation reicht völlig und die Tränen kullern über die Wangen.
Mit breit gestreuten Anzeigenkampagnen soll einem der kleine Piks schmackhaft gemacht werden. Man möge sich doch bitte um einen Impftermin bemühen. Man hat das Gefühl, hier würde Sauerbier angepriesen. Wenn ich mich denn umsehe, dann sehe ich jede Menge Menschen, die lieber heute, denn morgen einen Termin hätten. Doch Pustekuchen. Vielleicht in zwei, drei Monaten. Vielleicht auch erst im nächsten Jahr.
Muss man wirklich Geld in die Hand nehmen, um etwas anzupreisen, was dann doch nicht erhältlich ist? Reicht es nicht, erst den Ansturm derer zu bewältigen, die nach ihrer Dosis lechzen? Wäre das Geld nicht sinnvoller eingesetzt, die Verteilung des Serums endlich auf die Reihe zu bekommen?
Wir haben mal bei unserem Betriebsarzt nachgefragt. Neben seiner Betriebsarzttätigkeit unterhält der auch eine Praxis. Als niedergelassener Arzt betreut er - so sagt es die Statistik - etwa 200 Patienten, als Betriebsarzt weitere 300. Er könnte also locker auf einen Schlag 500 Leute impfen. Danach hätte er sich schon ein Bier verdient... und was bekommt er? Sechs Fläschchen Serum in der Woche. Reicht also für etwa 30 Patienten. So Pi mal Daumen wäre er also etwa in 5 Monaten durch. Mit Zweitimpfung. Bei dieser Frequenz, echt jetzt, da muss ich heute noch keine Werbung für machen. Da muss ich dafür sorgen, dass der gute Mann nicht sechs, sondern 10, 15, 20 Fläschchen bekommt.
Mein Hausarzt? Der versucht sich all die Impfwilligen mit einer Ansprache vom Band vom Leib zu halten. Nicht, weil er sie nicht impfen wollte, mehr, weil er sie nicht impfen kann. Kein Impfstoff. Ich möchte nicht in der Haut des Praxisteams stecken. Wenn von morgens bis abends die Leitung von verzweifelten, genervten oder unverschämten Impflingen verstopft ist. Ruhe bewahren, jeder Tag hat einen Feierabend.
Auf der Suche nach dem Stoff werden HNO-Ärzte, Zahnärzte und Orthopäden abgeklappert. Da schwingt man sich ins Auto und tingelt durch die Dörfer, ob nicht irgendwo ein Tropfen übrig bleibt. Das hat etwas apokalyptisches... Ich geh' übrigens zur Frauenärztin. Warum? Das bleibt mein Geheimnis.
Und doch macht der Fortschritt der Impfaktion langsam Mut. Der Pandemie kann beigekommen werden. Eine Herdenimmunität ist keine reine Utopie mehr. Wann allerdings diese Herdenimmunität erreicht sein wird, da befrage man die Pythia von Delphi.
Bis dahin? Bis dahin wird es noch eine Menge Diskussionen geben. Über die Priorisierung und ob sie überarbeitet oder ganz aufgehoben werden soll. Über mehr oder weniger Lockdown und das Auf und Ab der Inzidenz. Über Sinn und Unsinn der einen oder anderen Maßnahme. Und auch über das Thema ob, wann und welche Freiheiten Geimpfte gegenüber Ungeimpften haben sollen.
"Ich finde es einen bodenlose Frechheit jetzt mit Thema anzufangen, Geimpfte haben in Zukunft mehr Freiheiten!"
So muss ich lesen. Dem möchte ich entgegen halten "Ich finde es einen bodenlose Frechheit jetzt nicht mit Thema anzufangen!". Vielmehr ist es dafür schon ganz schön spät. Das Thema hätte schon vor Wochen, wenn nicht vor Monaten beackert werden müssen. Um den Menschen eine Perspektive zu geben. Um zu einer "neuen Normalität" zu kommen.
Mit welchem Recht sollen die Grundrechte den Menschen vorenthalten werden, die sich nicht mehr infizieren können und die niemanden mehr infizieren können? Wenn das geschieht, dann bekommen die Querdenker im Nachhinein Recht. Dann ist unsere Verfassung keinen Pfifferling mehr wert. Dann sind Machtmissbrauch und Diktatur Tür und Tor geöffnet.
Es ist also höchste Zeit, sich gründlich Gedanken darüber zu machen, wie man in Zukunft die Freiheiten der Geimpften organisiert. Mit Impfbuch, mit einer App, mit einer amtlichen Bestätigung. Sollen negativ Getestete die gleichen Freiheiten erhalten? Können damit Gastronomie und Kultur langsam wieder hoch gefahren werden? Wie siehts mit Reise- und Ausgangsbeschränkungen aus?
Ich für meinen Teil freue mich für jede Freiheit, die Geimpfte wieder wahrnehmen können. Auch wenn ich selbst noch die eine oder andere Woche vor mir habe, bis auch ich wieder in den Genuss dieser Freiheiten kommen werde. Ich gönne, ja ich wünsche es allen, die jetzt schon immunisiert sind.
Hey, ich käme auch nicht auf die Idee, zu verlangen, dass du auf Krücken gehst, weil ich mir das Bein gebrochen habe.
[emaz - 04.02.2021] Der Terminus "Privilegien für Geimpfte" ist eine bewusste oder unbewusste Umdrehung der Tatsachen. Grundrechte sind keine Privilegien. Grundrechte sind Grundrechte. Und Grundrechte sind der Normalzustand. Die besondere Situation der Pandemie bedingt es, diesen Normalzustand befristet einzuschränken. Damit wird die Rückkehr zu den Grundrechten nicht zu einem Privileg, sondern bleibt der einzig gangbare Weg für uns alle.