Abt.: Kleben und kleben lassen
Sie kleben auch für dich
Vor lauter Kleberei und immer lauter werdendem Geschrei fällt es schwer den Fokus zu behalten. Lasst mich das mal zusammenfassen.
1972 war es, als der Club of Rome(1) zum ersten Mal warnte. Nein, eigentlich nicht warnte, sondern lediglich darlegte, dass es für uns ganz ganz blöde aus geht, wenn es so weiter geht. Seit her ist viel passiert. Und was sagt der Club of Rome heute? Es wird ganz ganz blöde für uns ausgehen, wenn es so weiter geht. Und was machen wir? Wir machen weiter als ob nichts wäre. Hat ja bisher auch ganz gut geklappt.
Wir haben den sauren Regen in den 1980ern überlebt, und Tschernobyl auch. Wir haben das Ozonloch gestopft und FCKW aus den Kühlschränken verbannt. Ja und den Katalysator haben wir auch eingeführt.
Und was sagt der Club of Rome dazu? Der sagt das dazu:
"Technischer Fortschritt könnte zwar die Zeit bis zu einem Zusammenbruch verlängern; er würde die Grenzen des Wachstums aber nur ein Stück verschieben und nicht aufhalten."
Und wann sagt er, wir der Zusammenbruch passieren? 2100 sagt er. 2100? Ja dann. Bis dahin fliesst noch viel Wasser die Isar runter.
Genau das ist aber das Problem, das Wasser das da die Isar runter fliesst. Oder den Nil, den Ganges. Oder aber eben genau nicht mehr fliesst. Oder da fliesst, wo es nicht soll. Hier Überschwemmungen, dort Dürren. Und das ist kein Horrorszenario aus der fernen Zukunft, das ist das, was wir tagtäglich in der Tagesschau sehen.
Und wir tun, als wäre das lediglich ein finanzielles Problem. Ein Problem der Munich Re. Ein Problem das man schon in den Griff bekommt, wenn man nur einen Ausgleichsfonds auflegt. Für die Länder, die in den nächsten Jahren austrocknen. Oder weggeschwemmt werden.
Vor ein paar Jahren ist einem jungen Mädchen der Kragen geplatzt. Vor der UNO hat sie sich Luft gemacht. Hat all die sesselfurzenden Nichtstuer angegriffen. Die Nichtstuer, die seit 1979 bei Lachs und Schnittchen zusammen hocken und... nichts tun. Labern, Schwarzer Peter spielen und es als Erfolg verkaufen, wenn sie zusammen für ein Gruppenfoto gemeinsam in die Kamera grinsen.
Das junge Mädchen steht stellvertretend und symbolhaft für eine Generation, die sich schon in jungen Jahren um ihre Zukunft betrogen fühlt. Eine Generation aber auch, die das nicht so einfach hinnehmen will. Die deshalb auf die Straße geht und die laut ist. So laut, dass es in den Ohren dröhnt. Und was machen die Nichtstuer? Genau: Nichts tun. Und für ein Gruppenfoto in die Kamera grinsen.
Die Jungen werden lauter. Treten in den Streik. Gehen statt zur Schule auf die Straße. Und was tun die Nichtstuer? Sie verurteilen die Jungen. Drohen Strafen an und... sie tun nichts und grinsen in die Kamera.
Derweilen ist in den Nachrichten zu sehen, wie die Katastrophe immer mehr an Fahrt aufnimmt. Wie die Menschen unter Dürren leiden. Wie ihre Lebensgrundlage weggeschwemmt wird. Wie Häuser von Tornados hinweg geweht werden. Wie Flüsse über das Ufer treten. Und wie die Gletscher schmelzen. Und die Nichtstuer grinsen weiter in die Kamera.
Jetzt kleben sich die jungen Leute - die sich bezeichnender Weise "Letzte Generation" nennen - auf Straßen und an teure Bilder. Sicher nicht aus Jux und Dollerei. So was macht man nicht aus Spass. Da müssen Frust und Verzweiflung schon gehörig Druck erzeugen. Druck, der weiter gegeben werden will.
Und was machen die Nichtstuer? Sich tun was. Sie verurteilen die Klimakleber. Sie stellen die Klimakleber in eine Reihe mit mordenden Terroristen. Sie wollen am Strafrecht schrauben und die Kleberei mit drakonischen Strafen ahnden. Sie beugen den Rechtsstaat und lassen junge Leute wegsperren. Ohne Urteil.
Ganz ehrlich? Ja, ich habe Sympathien für die Klimakleber. Ich kann sie verstehen. Und ich blicke voller Sorge in die Zukunft. In die nahe Zukunft, weil mir das Angst macht, wie die Politik auf berechtigte Sorgen und Ängste reagiert. In die fernere Zukunft, weil mir das Angst macht, was unsere kapitalistische Wachstumsgesellschaft aus diesem Planeten macht.
Sahnetorte, faule Eier. Tomaten, Äpfel. Äpfel auch vom Pferd. Bier auf die Band, die den Ton nicht trifft. Lebensmittel müssen her halten.
Dieser Tage ist es hip, Reste aus Küche oder Speisekammer über Gemälde und Kunstwerke zu kippen. In vergangenen Tagen musste dazu Politikerfressen her halten.
Nun ja, Kartoffelbrei auf Monet erregt in wenigen Augenblicken mehr Aufmerksamkeit, als 15 Jahre EMAZ am Stück. Da bin ich neidisch. Ehrlich.
Zumindest für 15 Minuten. Die 15 Minuten Aufmerksamkeit, die Warhol uns allen zugestanden hat.
Es wird sein, wie es immer ist, nach 15 Minuten ist der Kartoffelbrei mitsamt seiner Message und zusammen mit den Aktivisten im Schweinetrog der Geschichte verschwunden. Schade eigentlich.
Kreative Aktionen, die empörte Bildungsbürger im Gleichklang mit empörten Bildungsfernen Empörung durch die Medien pusten lassen, das sind Aktionen, die ich liebe. Zumal noch nicht einmal jemand zu Schaden gekommen ist. Denn wer Schaden hat, hat auch Grund zur Empörung.
Und denen, die sich über ein bisschen Sahnetorte auf da Vinci ereifern: Wäre es euch lieber, die "Letzte Generation" würde zu Steinen und Revolvern greifen, wie es zu Zeiten der RAF Usus war? Mit Steinen und Revolvern, das wissen wir, ist noch nie etwas besser geworden. Vielleicht können das Torten und Tomatensosse.
Jetzt mal einen Blick in den Kühlschrank. Ich hätte da Kimchi. Jetzt frage ich euch, zu was passt Kimchi...
2100... ich werde das nicht mehr erleben. Ich schäme mich aber schon heute. Vor meinem Sohn, weil ich es mit meiner Generation nicht geschafft habe, eine lebenswerte Zukunft in Aussicht zu stellen. Vor meinen Enkeln, weil die vielleicht schon gar keine Zukunft mehr haben werden.
Und ich schäme mich für all die Nichtstuer. Für die ein wenig Tomatensosse auf van Gogh ein größeres Übel ist. Größer als Kinder in Afrika verhungern zu lassen. Größer als Menschen in den Fluten ertrinken zu lassen.
Sehr schön hat es das Katapult Magazin auf den Punkt gebracht:
Dinge, die verschmutzt werden(2)
(1) [tagesschau.de]: Als der Club of Rome erstmals warnte
(2) [katapult-magazin.de]: Dinge, die verschmutzt werden