Westpol oder Ostpol?

Südostasien

Nord und Süd sind festgezimmert. Darauf kann man sich verlassen. Der Norden ist für alle, wirklich für alle in der einen Richtung. Man kann sich da sogar drauf stellen, ist vielleicht ein bisschen frisch und viel Platz ist da auch nicht, aber man kann das machen.

Auf den Westen kann man sich nicht drauf stellen. Man kann nach Westen fahren, ewig, man wird den Westen selbst nie erreichen. Und je schneller man nach Westen eilt - mit der Bahn vielleicht oder gar mit dem Flieger - desto schneller weicht der Westen zurück. Der Osten macht das übrigens genau so. Nur in der anderen Richtung.

Man möchte meinen, der Westen und der Osten müssten irgendwo auf der anderen Seite der Welt Sitzen und zusammen feixen, ob des unmöglichen Unterfangens einiger Reisender, etwa den fernen Osten zu ergründen. Doch ruft man auf eben der Seite der Welt an, erfährt man zum Erstaunen, dass man dort zwar ebenfalls weit nach Westen und weit nach Osten blicken und reisen könne, sich dort aber mit Nichten Westen und Osten träfen.

Was in diesem Zusammenhang noch viel verwirrender ist: Verabredet man sich nun mit seinem Gesprächspartner, er mögen flugs gen Osten eilen, während man selbst seine Schritte nach Westen lenkt, man wird über kurz oder lang aufeinander, nicht jedoch auf den Westen treffen. Auch nicht auf den Osten. Beide haben sich unbemerkt aus dem Staub gemacht.

Wie ich da jetzt drauf komme? Ich lese gerade von einer Japanerin, die hinreissend erklärt, wie es sich mit Toupets in der Japanischen Kultur verhält. Und wenn der Mann einmal begonnen hätte, Toupet zu tragen, er davon ganz schwer wieder weg käme. Ähnlich schwer, wie von einer Drogensucht. Und sie spricht davon, wo die Harre für die vielen Toupets herkommen. Nämlich aus Südostasien.

Das finde ich etwas befremdlich. Also nicht, dass Toupet-Haare aus Südostasien kommen. Viele Toupets werden aus Echthaar gefertigt, warum also nicht auch aus echtem Haar aus Südostasien. Befremdlich hingegen finde ich, dass eine Japanerin von Südostasien spricht. Denn wie der erdkundebewanderte Mitteleuropäer weiss, ist Japan schon ganz schön weit im Osten von Ostasien. Selbst für asiatische Verhältnisse. Südöstlich von Japan ist nicht mehr viel Asien, aus dem Haar für Toupets kommen könnte.

Ich schieb das jetzt mal auf eine Finte der Übersetzerin. Um den erwähnten Mitteleuropäer nicht zu verwirren, greift sie auf hierzulande gängige geografische Floskeln. Und bei "Südostasien" manifestiert sich im Kopf der Leserschaft ein tropisch, exotisches Szenario am Rande des Indischen Ozeans. Und genau auf diese Region spielt die toupetkundige Japanerin an.

Und wie ich so über mein Befremden nachdenke, bin ich etwas befremdet ob meines Befremden. Denn unabhängig davon, wo man sich in Asien gerade befindet, es gibt immer einen eher westlichen Teil und einen eher östlichen. Und ganz egal wie weit östlich man sich herumtreibt, so bleibt Ostasien eben Ostasien.

Und jetzt kommt's: Wenn man denn vom östlichsten Ostasien gen Osten zieht, landet man endlich im Westen Amerikas an. Im wilden Westen. Ist das nicht toll? Wendet man sich von Japan aus nach Osten, landet man im Westen.