Abt.: Sehr verquer

Unter Wanderung

Gewohnte Denkmuster und Narrative bröckeln. Sie erodieren zusehends schneller. Oder gerät nur meine gedankliche Komfortzone aus den Fugen? Lechts und rinks, denkt mal mit.

Über Jahrzente flossen die gesellschaftlichen Strömungen klar in ihren ausgewaschenen Flussbetten. Hatten ihre unverwechselbaren Markenkerne.

Verkürzt und plakativ... eine Auswahl:

  • Punk - Nonkonformismus
  • Kirche - Frieden
  • Linke - Kommunismus
  • Anarchisten - freie Gesellschaft
  • Sozialdemokraten - wer hat uns verraten?
  • Konservative - ewig Gestrige
  • Liberale - Bildung und Kapitalismus
  • Grüne - helfen Fröschen über die Straße, wollen kein Atom, dafür aber gerne aus der NATO
  • Nazis - Arschlöcher
  • HipHop - Goldkettchen
  • Manta - Vokuhila

Dabei gab es immer wieder Überschneidungen. Das war nicht schlimm, das musste niemandem peinlich sein und hat auch keine Weltbilder ins Wanken gebracht.

Ein Konservativer konnte problemlos Manta fahren und Goldkettchen tragen.
Ein Punk konnte mit Christen zusammen nach dem Ostermarsch Fröschen über die Straße helfen.
Linke, Anarchisten und Grüne konnten gemeinsam gegen die Nato streiten.
Konservative und Sozialdemokraten... ach, lassen wir das.

Und dann gab es noch das unappetitliche Süppchen ganz rechts. Mit denen wollte keiner. Und die wollten auch mit keinem. Da gab es einen unausgesprochenen Konsens, der die braune Bagage von allen gesellschaftlichen Anlässen fern gehalten hat.

Im Großen und Ganzen hat diese Weltordnung ganz gut geklappt. Bis... ja bis wann eigentlich?

Hat das mit Pegida begonnen? Wo der besorgte Familienvater zusammen mit der Reichskriegsflagge auf die Straße ging? Oder schon vorher, als verschwurbelte Wahnwichtel irgendwelche esoterischen Mahnwachen abgehalten haben?

Oder hängt das eng mit Corona zusammen, wo rastazöpfige Hippies und antroposophische Eltern Seit an Seit mit strammen Nazis demonstrierten?

Jedenfalls werde ich den Eindruck nicht los, dass sich der rechte Mob mehr und mehr in Domänen vor wagt, wo er nichts zu suchen hat.

Die Öffentlich Rechtlichen gratulieren der AfD zum Geburtstag. Berichten von deren Parteitagen. Bereiten ihnen somit einen Weg in die Normalität. Wer mag es da schon einer CDU verdenken, wenn sie das mit der Brandmauer gegen Rechts auch nicht mehr so ernst nimmt.

Interessant auch, wenn ganz Rechts und ganz Links(1) unisono ein Ende der Sanktionen gegen Russland und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine fordern. Die radikalen in der Mitte jedoch an beidem festhalten.

Wenn also Rechte im öffentlichen Diskurs oder auch auf richtigen und wichtigen Demonstrationen auftauchen, dann höre ich zunehmend häufiger, man könne doch solche Leute (also einschlägig bekannte Nazis) nicht einfach ausschließen...
Doch! Man kann. Man sollte auch. Nein, eigentlich muss man das. Ganz unbedingt.

Ich halte mich übrigens nicht für konservativ, wenn ich darauf bestehe, Nazis auch weiterhin auszugrenzen. Auch nicht als intolerant. Ich sehe nichts weltoffenes, wenn man Menschenfeinde hofiert.

(1) Wie so oft, so möchte ich auch hier diesen Linken entgegen brüllen: Dieses Russland ist nicht die Sowjetunion und dieser Putin ist kein Kommunist.