Industrie und Punk
Völklingen
Wenn euch jemand sagt, Völklingen sei die zweithässlichste Stadt nach Ludwigshafen, dann glaubt ihm das einfach. Fahrt da nicht hin, nehmt euch da kein Hotel und geht in dieser Tristesse auch nicht spazieren.
Nehmt euch hingegen eine Unterkunft in Saarbrücken. Das ist nicht weit weg von Völklingen aber um so vieles besser anzusehen. Außerdem gibt es da den Karate Klub Meier.
Wie ich jetzt gerade auf Völklingen komme? Oh mei. Ein verlängertes Wochenende und der schon ewig gehegte Wunsch, mal die Hütte zu besichtigen. Weltkulturerbe immerhin. Es wird wohl Mitte der 80er Jahre gewesen sein - ich vermag nicht zu beschwören, ob die Hütte noch in Betrieb war oder nicht - als ich mit dem Zug an dem gigantischen Werk vorbei gerollt bin. Vor dem Öffnen der Fenster wurde eindringlich gewarnt und in meiner Erinnerung war die ganze Angelegenheit reichlich trübe.
Damals war mein Begehr weniger die Industriekultur, denn die Punkkultur. Und davon gab es unweit der Hütte im beschaulichen Heusweiler eine ganze Menge. Aber dazu später. Hängen geblieben ist die beeindruckende Kulisse des Hüttenwerks und der Wunsch, das mal aus der Nähe zu betrachten.
Den eingangs erwähnten Rat nicht befolgend habe ich denn Quartier in Völklingen bezogen. Auf dem Weg zur Hütte konnte, nein musste ich das geballte Elend einmal längs durchqueren. Dabei gerieten meine Gedanken ins freie Assoziieren. Da müsste man mal mit dem Kärcher durch, den Staub der letzten 100 Jahre wegspülen... ganz schön viele Frisöre hier... wenn sonst schon nichts geboten ist, dann kann man wenigstens zwei, dreimal am Tag zum Haareschneiden gehen... das Rathaus ist eigentlich ganz schön... jeder zweite Laden steht leer... bei der Arbeitsagentur möchte ich hier echt nicht arbeiten... so ein Weltkulturerbe allein hält eine Stadt noch nicht am Leben... Jedenfalls kann einen die depressive Stimmung schon ganz schön runter ziehen. Schließlich und Endlich stehe ich dann also vor dem Werk. Klein fühle ich mich. Nicht nur klein im Sinne von "neben einem Fernsehturm wirkt auch der längste Lulatsch winzig" sondern in jeder Hinsicht klein. Klein bis in die kleinste Faser meines Körpers. Wie nichtig doch das Individuum im Schatten solch mächtiger Ingenieursleistung.
Wie kommt der Mensch auf die Idee, Tonnen um Tonnen Stahl - als Träger, in Rohre geschmiedet, verschweißt, verschraubt, vernietet - zu einer solch bizarren und mächtigen Skulptur aufzutürmen. Dabei spielt alles mit allem zusammen, funktioniert wie ein Uhrwerk und erzeugt neben unvorstellbarem Lärm, Giften und Schweiß den Stoff aus dem die industrielle Revolution geschmiedet ist, das Eisen.
Stunde um Stunde kann man durch die Eingeweide aus Stahl klettern. Ölgeruch in der Nase, Sinterstaub auf den Lippen. Doch selbst die kühnste Phantasie lässt lediglich blass erahnen in welch einem Inferno hier Generationen von Arbeitern ihr Leben fristeten. Zwischen Stechuhr, Hochofen und dem Bier nach der Schicht. Die Rente in unerreichbarer Ferne. Denn es ist schwer vorstellbar, dass man solch einen Moloch nach 40 Jahren gesund und munter hat verlassen können.
Was hat mich aber in den 80er Jahren in diese Gegend verschlagen. Von München aus liegt das Saarland ja nicht gleich ums Eck. Es war der Punk. Und da lagen das Saarland und München gar nicht so weit auseinander. Fern ab der Metropolen in denen der Punk gekocht und gebrodelt hat, war München kaum weniger Diaspora wie etwa Heusweiler. Das hat irgendwie verbunden.
Jedenfalls fand ich mich mit einem lustigen Haufen bunter Leute in den Katakomben unter Heusweiler. Wir hatten Spass. Der lustige Haufen stellte sich als die aufstrebende Band "Crowd of Isolated" vor und die wollte ich unbedingt mal in München sehen. Hat auch irgendwie geklappt. Ich habe sie in die Katakomben unter Ottobrunn geholt und wir hatten... Spass. Dann ist der Kontakt - sehr zu meinem Bedauern - angebrochen. Höchste Zeit also, die zarten Bande aus längst vergangenen Tagen wieder neu zu knüpfen.
"Crowd of Isolated" gibt es nicht mehr. Dafür gibt es jetzt "Trust Issues". Und die "Trust Issues" knüpfen an den rotzig frechen Hardcore früher Zeiten à la Spermbirds oder eben "Crowd of Isolated" an.
Und wie das Leben so spielt, spielten die Buben, die natürlich längst keine Buben mehr sind, just an dem Abend, der in Völklingen Ödnis und Langeweile versprach, in Saarbrücken. Und Saarbrücken ist ein Katzensprung. Das war ein Hallo, eine Wiedersehensfreude, ein Erinnern an längst verblasste Erinnerungen. Und ja, es war ein Spass. Danke für den Abend.